Die Polyvagal-Theorie nach Dr. Stephen Porges beschreibt, wie unser autonomes Nervensystem ständig bewertet, ob wir sicher, unsicher oder in Gefahr sind – oft lange bevor wir es bewusst bemerken. Diese unbewusste Einschätzung beeinflusst, wie wir fühlen, denken, reagieren und wie gut wir mit anderen in Verbindung treten können. Sie erklärt, warum wir manchmal ganz wir selbst sind und in anderen Momenten wie „gefangen“ in Stressmustern.
Unser Nervensystem unterscheidet dabei 3 grundlegende Zustände:
- Sicherheit und Verbundenheit (ventral-vagal)
In diesem Zustand fühlen wir uns klar, präsent und verbunden mit uns und anderen. Wir können denken, fühlen und handeln, ohne überflutet oder abgeschaltet zu sein. Dies ist der Zustand, in dem Heilung, Lernen und echte Beziehung möglich sind. - Kampf oder Flucht (sympathisches System)
Wenn unser Körper Gefahr spürt, schaltet er auf Aktivierung: Unruhe, innerer Druck, Herzrasen, Grübeln oder das Gefühl, alles kontrollieren zu müssen. Dieser Zustand ist nicht „falsch“, sondern ein Versuch, uns zu schützen. - Erstarrung und Rückzug (dorsal-vagal)
Wenn etwas zu viel wird, schaltet das System manchmal „nach unten“ (wir können uns das ganze System wie eine Leiter vorstellen): Ermüdung, Leere, Überforderung, Abschalten, Gefühl von Getrenntsein oder Ohnmacht. Auch dieser Zustand ist ein Schutzmechanismus – kein persönliches Versagen.
Die Polyvagal-Theorie hilft zu verstehen, dass all diese Reaktionen sinnvoll waren, als sie entstanden sind. Sie sind keine Charaktereigenschaften, keine Schwächen – sondern biologische Muster, die uns am Leben erhalten haben.
In der therapeutischen Arbeit nutzen wir dieses Wissen, um:
- zu erkennen, in welchem Zustand sich Ihr Nervensystem befindet
- Wege zu finden, wieder in Richtung Sicherheit und Verbindung zu gelangen
- Druck und Selbstkritik abzubauen („Warum bin ich so?“)
- Über- oder Untererregung sanft zu regulieren
- innere Ressourcen und Stabilität aufzubauen
- Körper und Psyche wieder in Einklang zu bringen
In meiner Arbeit bildet die Polyvagal-Theorie den Rahmen, innerhalb dessen alle Methoden zusammenwirken: Sie unterstützt somatische Trauma-Arbeit, Focusing, Hypnotherapie, EFT und Atemarbeit, weil sie verständlich macht, was gerade im Inneren passiert und welchen nächsten Schritt Ihr Körper braucht.
